Dienstag, 31. Januar 2006

postmoderne flecken im notizheft

"der verlust von endgültigem halt ist absolut. in allem."

ich frage mich durchaus, ob es zur beunruhigung anlass gibt, dass ich diese notiz in meinem heft fand nur kurz nach drei seiten wüst mitgeschriebener aufzeichnungen aus einer vorlesung, die ich vergangenen dezember in einer berliner buchhandlung miterlebt habe. so ganz in der nähe also von wörtern wie:

"zwischen kritik und zäsur"
"was ist mit velazquez?"
"formale und geradezu architektonische konstruktion von musik"
"das moderne denken ist ein zutiefst tragisches, da es in seinen hoffnungen einer wie auch immer guten zukunft scheitert. scheitern muss. diese tragödie der moderne ist in der postmoderne ein spiel."

(es drängt sich ein "trauerspiel"-wortspässchen auf, ich kann es aber gerade noch unterdrücken)

dafür kommt's jetzt dick:

"postmoderne kultiviert die geste der indifferenz gegenüber dem reflexivem grundmoment der moderne und setzt diesem die intensität des erlebten (erzeugung von 'präsenz-effekten') entgegen."

"dieser präsenz-effekt zielt - z.b. in der architektur - stark auf den körper."

hier müsste jetzt das ein oder andere - scheint mir - ergänzt werden, aber so sehr ich auch in dem heft suche, ich finde keine flecken mehr.

Sonntag, 29. Januar 2006

spam novel?

es gibt ein auffälliges phänomen, das mir gerade heute erst wieder in die inbox geflattert ist. spam-mail, in diesem fall ein semi-wissenschaftlicher versuch, mich von der besonderen qualität chemisch erzeugter pheromone zu überzeugen. das ist alltag, gewiss.

erstaunlich aber, dass am ende dieser spam folgender text steht:

"One thing, however, he should have remembered: that he was in an ancient and little known part of the world and reposing above a sea famous in fable as the home of many fierce and terrible creatures; while not far away lay the land of the dragon, the simurg and other ferocious monsters. Rob may have read of these things in fairy tales and books of travel, but if so they
had entirely slipped his mind; so he slumbered peacefully and actually snored a little, I believe, towards morning
But even as the red sun peeped curiously over the horizon he was awakened by a most unusual disturbance--a succession of hoarse screams and a pounding of the air as from the quickly revolving blades of some huge windmill"

das ist mir schon öfters passiert und immer nehme ich mir vor, diese textbrocken zu sammeln. es ist tragisch, sich so mit spam-mail zu beschäftigen. aber DAS WILL UNS DOCH ETWAS SAGEN...

das ist eingeschmuggelte literatur zwischen penis enlargement und viagra pill, zwischen plastic travel pussy und russian whore einfach so dazu gestellt.

wirklich erstaunlich.

Montag, 23. Januar 2006

transatland

dich gibt es nicht
in meinem kopf
und nicht in ihrem.
nur in seinem,

da sind spuren.

transatland

du bist nur sand
vor meinen füßen
und die türen
sind der blick

auf menschenleere fluten.

Sonntag, 22. Januar 2006

politisch korrekt träumen

zwei szenen aus dem letzten traum:

ich bin ein schwarzer high-school absolvent und sitze ziemlich frustriert auf dem langen, aber schmalen balkon meiner schule, die den blick freigibt auf einen großen see im besten sommerwetter. am anderen seite des ufers liegt ein beschauliches dorf und ich sehe eine menge schüler, die dort auf einer straße erleichtert und zukunftsfroh dahin laufen. in eine bestimmte richtung, die mir unbekannt ist.

um mich herum gute stimmung. vor mir verabschiedet sich ein großer, etwas schwerfälliger kerl von drei freunden, die er wohl nie mehr wieder sehen wird. man verhält sich kollegial und produziert szenen loser kameradschaft. ich werde ignoriert und schere mich nicht um die jungs. an der gruppe will ein älterer und klug wirkender schüler vorbei, der an einem arm von dem schwerfälligen kerl zur verabschiedung festgehalten wird. dort, wo er ihn festhält, ist nur stoff, offenbar ist sein linker arm verkrüppelt. der dicke hält den ärmel betont lange fest und sagt, so dass es alle um ihn herum hören:

"hey, ich wollte dich das ja schon immer mal fragen. was ist eigentlich mit deinem arm passiert? bevor du jetzt gehst und wir uns nicht mehr wiedersehen..."

der ältere setzt distanziert aber ruhig zu einer antwort an. mittlerweile haben sich zwei neugierige mädchen dazu gesellt und wollen von dem klugen krüppel hören, was er denn eigentlich hat. ich springe wütend auf, schubse mich an dem dicken vorbei und mache ihn an: "das passt dir gerade so in den kram. jetzt nochmal schön ausfragen, aber sonst interessiert er dich einen dreck, was?" betretenes schweigen, das ich schon kaum mehr mitbekomme.

auf meinem weg raus aus der schule (sie ist so gut wie leer), treffe ich auf ein junges schwarzes paar (schöne, schlanke mutter) mit ihrer kleinen tochter. die mutter fragt mich zu der schule und erläutert mir kurz, was ihr denn wichtig sei und was nicht. ich setze zu einer antwort an und bin froh, etwas gutes über meine schule sagen zu werden. ihre tochter unterbricht uns, nicht vorlaut aber bestimmt.

"ich will, dass mein lehrer sagt 'schwarz', wenn er meint 'schwarz'. dass ich gemessen werde, an dem, was ich tue. nicht an dem, der ich bin. ich will guten unterricht und ehrliche schüler."

sie sagt dies so, als hätte es ihr jemand beigebracht. aber sie glaubt es auch. sie ist ernst und überzeugt. sie ist ein stolzes, junges, schwarzes mädchen.

Samstag, 21. Januar 2006

da draußen 2

pandora.com nennt sich selber "music genome project" und verfolgt die idee, mithilfe einer sehr ausdifferenzierten musikdatenbank deinen musikgeschmack zu erkennen. beispiel: du sagst "jamiroquai" und die maschine spielt jamiroquaische musik. sie soll helfen, musik zu finden, die du magst. von der du garnicht wusstest, dass du sie magst. funktioniert natürlich nicht bei allem. z.b. wenn aus tom jobim irgendwann robbie williams und frank sinatra wird.

pandora

wäre dieses prinzip auf die literatur übertragbar (wenn man an das funktionieren von kategorien glaubt, ist es sicher möglich), hätten wir eine neue bibliothek geschaffen. wir würden wieder überschaubarkeit suggerieren. überschaubarkeit mit der simultanen illusion des völligen zugriffs.

Freitag, 20. Januar 2006

novalis schreibt

"alle zufälle unseres lebens sind materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. wer viel geist hat, macht viel aus seinem leben. jede bekanntschaft, jeder vorfall wäre für den durchaus geistigen erstes glied einer unendlichen reihe, anfang eines unendlichen romans."

novalis, blütenstaub [66]

Montag, 16. Januar 2006

da draußen 1

die brown university im staat new york (usa) ist eines der zentren für forschung zum thema "digitale kunst/literatur/ästhetik". noah wardrip-fruin (das könnte ein künstlername sein) ist traveling scholar dieser universität und theoretisch wie praktisch sehr nah dran am thema.

seine raum-installation screen ist der versuch, via interaktiver textprojektion auf drei wände den verlust von erinnerungen literarisch zu bearbeiten. dabei hat der leser, vor dessen auge wörter auf den textwänden sich langsam in bewegung setzen, die möglichkeit, diese wörter (erinnerungen, die aus dem gedächtnis herausfallen) zurückzustoßen. zurück in den text. dabei können sie aufgebrochen werden oder an einer anderen lücke im text landen. interessant. aber keine literatur.

"it creates new experiences of text in relation to the reader's body." (N. Wardrip-Fruin)

Screen

der link führt zu einer quicktime-movie datei, nicht allzu groß.

wer einen blick auf die e-lit szene in den usa werfen will, dem sei der blog grandtextauto empfohlen.

..und vor ihren augen eröffnete sich eine neue welt. und sie sahen, es war vielzuviel...

da draußen - prolog

"da draußen" soll in zukunft eine art kategorie innerhalb der posts darstellen, in der ich dinge vorstelle, auf die ich gestoßen bin, sei es bei meinen lektüren oder eben da draußen.

es soll dazu dienen, die organisation von flüchtigem wissen, welches jede lektüre, jede begegnung mit etwas neuem zur folge hat, zu illustrieren. in seiner vereinzelten präsenz abzubilden und dabei zuzuschauen, wie dieses stück wissen langsam in der liste nach unten rutscht, wie es subsumiert wird unter einem monat, wie es sich im sediment ablagert und vielleicht dabei vergessen wird.

Sonntag, 15. Januar 2006

digitale literatur

scheitert an dem versprechen neuer inhalte durch die illusion einer neuen form.

sie ist nicht neu. sie dynamisiert nur die vorhandenen funktionsprinzipien des textes. er ist, so wie er ist, schon immer gewesen.

kombinatorik gibt ihm eine neue lektüregeschwindigkeit, eine alternierende chronologie. der faktor zeit erlaubt einen gewissen grad an inszenierung. die einbindung anderer zeichensysteme relativiert den absoluten wert der buchstaben (er schränkt sie ein).

aber das alles ist nicht neu. es ist nicht fundamental anders zu dem kosmos an künstlerischen, ästhetischen, theoretischen und alltäglichen ausdrucksformen von schrift, die seit jahrhunderten, seit jahrtausenden entwickelt werden.

das alles (hier: das digitale) ist nur ein neuer grad der ausdifferenzierung.

theoretisch interessant (und kompliziert). literarisch unbedeutend.

humboldt schreibt

"je erhabener die gegenstände sind, desto sorgfältiger muss der äußere schmuck der rede vermieden werden. die eigentliche wirkung eines naturgemäldes ist in seiner komposition begründet."

Alexander von Humboldt, Kosmos

die literarische umsetzung dieser maxime verlangt das äußerste vom schreiber: sich so zurückzunehmen, dass das eigentliche, das zu sagende, kurzum: das, was gesagt werden muss, nicht nur durchscheint, sondern selbst erscheint.

schon dieser gedanke erreicht das ziel nicht. die arbeit geht weiter. sie hat gerade erst begonnen.

die leere seite

ist im blog genauso weiß wie überall. eigentlich bleibt alles beim alten. die kulturtechnik der letzten jahrtausende setzt sich durch. sie setzt sich fest in allem, was dem wort nicht fern bleiben kann. wörter sind die abstrakteste form des denkens, die uns gegeben ist.

zwischen ihnen leben wir.

Samstag, 14. Januar 2006

prolog am kaminsims

jedem anfang wohnt ein autor inne.

dieser blog ist der zollstock deiner worte. messlatte im wachstumsmarkt der neuen texte. jeder neue text ist partikelteilchen einer galaxie von texten. a story in a nutshell.

kürzlich haben mich zwei männer sehr beeindruckt, auch wenn ich nur schemenhafte fiktionen von ihnen in meinem gedächtnis trage: Stephen Hawking und Clint Eastwood.

aber zurück zum anfang, denn es kann garnicht genug spielwiesen geben und nicht genug oberflächen, als dass man in ihnen allen nicht auch material sehen könnte. schreibmaterial.

14471 ist ein literarischer blog.
14471 ist kein literarischer blog.
14471 ist dazwischen, irgendwo.

den genauen ort dieses 'irgendwo' auszumachen, ist nicht die aufgabe von 14471. es ist überhaupt keine aufgabe. es ist müßig.

es ist wie in einem labyrinth. wie man reingekommen ist, spielt am ende der reise eine bedeutend geringere rolle als wie man rauskam. wo genau man währenddessen war, ließe sich eh nicht mehr rekonstruieren, denn man war im labyrinth.

jedem guten text wohnt die qualität inne, dieses potenzial an unbestimmbarkeit an seinen leser weiterzugeben. am ende spürt er: ich bin durch mein eigenes, mein innerstes labyrinth gegangen und mit jedem neuen ausgang wird ihm klar, dass es auch einen weiteren, einen unbekannten, einen anderen kühnen eingang geben muss, der bald, wenn er nur weiterliest, sich ihm erschließen wird.

erschließen ist ein sehr misteriöses wort.