Freitag, 19. Dezember 2008

relationales Denken bei Humboldt

Aus Alexander von Humboldts Examen critique:

Alles was zur Bewegung anregt, möge die bewegende Kraft sein welche sie wolle, Irrthümer, unbestimmte Muthmaßungen, instinktmäßige Divinationen, auf Thatsachen gegründete Schlußfolgen, führt zur Erweiterung des Ideenkreises, zur Auffindung neuer Wege für die Macht der Intelligenz.

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Von kämpferischen Frauen und vermummten Ninjas

Ein Abend in dem vielleicht interessantesten Keller Berlins

Ein Freitag Abend in La Cueva, Berlin Kreuzberg. Keine Kneipe, kein Restaurant, keine Disco, sondern die Alternative der Latinoszene im Berliner Kultur- und Nachtleben. Maria, Besitzerin und Kraftzentrum von La Cueva, begrüßt ihre Gäste wie immer mit ausgebreiteten Armen, einem kubanisch-mütterlichen Bühnen-Lächeln und dem obligatorischen Satz: „Heute Abend werden wir etwas ganz Besonderes erleben und ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid.“

Wer hier rein will, muss den Weg kennen und deshalb beginnt jeder La Cueva-Abend mit dem aufregenden Gefühl, an etwas Unverbrauchten teilzuhaben, das von niemandem katalogisiert wird und das man nicht auf Google Maps oder in den Event-Zeitschriften der Stadt findet. Am Rand der Kreuzberger Oranienstraße, da wo die Szenekneipen des Viertels abgelöst werden von unscheinbaren Nachkriegsbauten mit Videotheken, Alt-Berliner Spelunken und Autohäusern, steht man vor einer schäbigen Eingangstür zu einem Wohnhaus und schaut auf die Klingel. Wer es weiß, erkennt dort auf dem untersten Schild die Wörter „La Cueva“ – die Höhle –, geht durch einen herunter gekommenen Hausflur auf den Hinterhof und steht im Dunkel. Hier gibt es nichts, was darauf hinweisen könnte, dass man gleich einen der ungewöhnlichsten und lebendigsten Orte des Berliner Nachtlebens betritt. Nur eine kleine Steintreppe, die zu etwas führt, was früher wohl einmal ein Kartoffel- oder Kohlekeller gewesen sein muss. Es scheint ein wenig Licht nach oben und nach ein paar Schritten runter in dieses unbekannte Loch hört man erleichtert Stimmen oder Musik und folgt dem weichen Licht durch einen kleinen Tunnel aus schwerem, roten Samt vorbei an einer poppigen Kunstinstallation, die an einen Jackson Pollock aus Strickfäden erinnert. Jetzt ist man drin, in La Cueva, und schaut durch dumpfes Licht auf Sitzgruppen, eine kleine Bühne, Plakate an den Wänden. Um die Ecke ein kleiner Tresen, von wo ein paar Studenten gerade mit Becks und Rum bewaffnet zurückkehren.

Normalerweise präsentieren die beiden Gründer Maria Magdalena González Atao, die kubanische Schauspielerin und Tänzerin, und der Peruaner Luis Meneses hier in diesem Keller, der alles sein will, nur kein angemeldeter Gastronomiebetrieb, lateinamerikanische Musiker und Tänzer. Die geben in den verrauchten und durchtanzten Nächten dieser wunderbaren Höhle After-Show-Parties, die zumeist besser sind als ihre eigentlichen Konzerte ein paar Stunden zuvor. Für viele Latinos ist dieser Ort deshalb auch einfach die beste Probebühne Berlins. Doch heute Abend geht es um grenzüberschreitende Literatur- und Filmprojekte und so übergibt Maria das Mikrophon an den Übersetzer und Schriftsteller Timo Berger und an die bolivianische Kunstagentin und Dichterin Rery Maldonado. Diese führen in den kommenden drei Stunden durch einen Abend, der heterogener nicht sein könnte und darin so typisch für diesen Ort wie für diese Stadt ist. Nicht umsonst hat sich Berlin in den letzten Jahren den Ruf erarbeitet, ein Mekka der jungen internationalen Kunst- und Kulturszene geworden zu sein. Die Gründe dafür sind schnell erklärt: keine Stadt in Deutschland ist stärker durchmischt von Menschen der unterschiedlichsten Kulturen. Keine Großstadt in Europa ist dabei gleichzeitig so billig und geräumig wie Berlin.

Als erstes kommen Roxana Crisólogo und Victoria Guerrero auf die Bühne, zwei peruanische Feministinnen, von denen die eine seit Jahren in Helsinki, die andere in Boston lebt. Guerrero, eine kleine und energische Frau mit dem konzentrierten Blick einer Kämpferin und den Zöpfen eines jungen Mädchens, stellt gleich zu Beginn die neueste Ausgabe ihrer Zeitschrift Intermezzo Tropical vor. Seit 2003 erscheint dieses hybride und gut gelayoutete Heft als eine Mischung aus kulturwissenschaftlichem Fachblatt und Avantgarde-Organ einer jungen Generation lateinamerikanischer Künstler, Publizisten und Intellektueller. Hier finden sich gleichberechtigt kulturkritische Essays zur Geschichte des peruanischen Populismus neben soziologischen Reflexionen zur Generation 68, Literatur-Rezensionen folgen auf Gedicht-Zyklen und mitten drin gibt es Bildstrecken zeitgenössischer Kunst und Fotografie. Worum es den Herausgebern um Victoria Guerrero aber vor allen Dingen geht, ist eine kritische Gegenöffentlichkeit herzustellen, die auf den Mainstream der peruanischen Medien und Politik mit einem Chor unabhängiger Stimmen antwortet, die zum Teil – wie auch die Herausgeberin selber – aus ihrem freiwilligen Exil von außen auf ihr Land schauen.

Eine ähnliche Haltung von politischer Reflexion und kritischer Kunst findet sich in den Arbeiten der Lyrikerin, Politologin und Juristin Roxana Crisólogo, die nach ihrem 2006 erschienen Gedichtband Ludy D über eine Aktivistin des Sendero Luminoso 2007 die Anthologie Memorias in santas zusammen mit dem Dichter Miguel Ildefonso herausgegeben hat. In diesem Band präsentiert Crisólogo Gedichte von peruanischen Schriftstellerinnen, die sich mit dem Thema der politischen Gewalt auseinandersetzen, eine Thema, das sich auch in den Aktivitäten des „Programa Democracia y Transformación Global“ (Program for Democracy and Global Transformation) widerspiegelt, das Crisólogo 2003 an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos in Lima mit begründet hat.

Roxana Crisólogo stellt ihre literarischen und publizistischen Arbeiten hier in La Cueva nicht zum ersten Mal einem Berliner Publikum vor. Der Organisator des Abends Timo Berger hatte sie zusammen mit elf anderen Autoren schon im Sommer 2006 nach Deutschland geholt um im Rahmen des mobilen lateinamerikanischen Poesie-Festivals latinale zehn Tage lang durch mehrere deutsche Städte zu reisen und dabei Lesungen und Autorenworkshops zu veranstalten. Ein Projekt mit großem Erfolg: Die latinale geht dieses Jahr bereits in die dritte Runde und wird wohl wieder neue und außergewöhnliche Autorinnen und Autoren aus Lateinamerika einem deutschen Publikum vorstellen, das diese noch kaum wird kennen können, handelt es sich doch bei den meisten um eine junge Generation unabhängiger Künstler und Intellektueller, denen der starre spanischsprachige Buchmarkt nur wenige Nischen zur Entfaltung lässt. Doch gerade das macht die latinale für Berlin und für das Lateinamerika-interessierte, deutsche Publikum so wichtig: nur transnationale und kultuverbindende Anstrengungen wie diese machen es möglich, dass der geistige und literarische Austausch über Sprach- und Buchmarktgrenzen hinaus zeitgemäß und fruchtbar bleibt.

Und als der erste publizistische Teil des Abends in La Cueva zu Ende geht und Platz macht für den Film, da kommen drei junge Männer auf die kleine Bühne, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten: zuerst der Russe Dmitri Dergatchev, dann der durch sein Ninjakostüm halb vermummte Vietnamese Truong Ngu und schließlich der Bolivianer Edmundo Bejarano. Zusammen bilden sie das frisch gegründete Independent-Filmlabel Brunnenstraße Productions, das an diesem Arbeit erste Ausschnitte seiner Premierenfilme zeigen wird. Und Edmundo Bejarano ist es, der nicht nur als erster das Wort ergreift und sich in launischen Plaudereien die Symphathie des Publikums erwirbt. Er stellt auch als erstes einen Ausschnitt aus einem seiner diversen Projekte vor: ein Dokumentarfilm über Fabian Casas, Autor der ersten Latinale 2006 und seit kurzem Anna-Seghers-Preisträger, einem hoch dotierten deutschen Literaturpreis, der ihm letzten Herbst in der Berliner Akademie der Künste verliehen wurde. Das hindert Bejarano freilich nicht daran, Casas ungeniert mit seiner Kamera bis auf das Pissoir zu begleiten und bei den Gängen durch die feine Akademie geschickt die Blickrichtungen des Autors mit denen der Kamera zu verschränken.

Dergatchev, ein Animationskünstler, und Ngu, ein Experimentalfilmer, stellen danach ihre Filme vor, aber den Projekten fehlt es ein wenig an Wirkung und Tiefe, denn sie vertrauen mehr auf das Spiel der Bilder als auf eine Geschichte, die sie mit diesen Bildern erzählen könnten. Das La Cueva-Publikum scheint sich daran allerdings nicht zu stören und bedankt sich mit langem Applaus und neuen Becksrunden an der Theke. Wer jetzt noch will, tanzt mit Maria kubanischen Son und trinkt sich durch die Nacht. Ein paar Frauen diskutieren in einer Runde die Rolle der intellektuellen Eliten in Lateinamerika, an einem Tisch gewinnt Timo Berger einen Freund für ein neues Übersetzungsprojekt mit brasilianischen Schriftstellern. Luis Meneses, der stille Luis, der in seinem Leben schon Musiker, Maler, Bühnenbildner und Journalist war, kümmert sich wie immer um die Technik und räumt ein paar Sachen in den zugestellten Backstagebereich dieses Ortes, der keine Bar ist, keine Disco und kein Restaurant, sondern vielleicht einfach nur der interessanteste Keller Berlins.

La Cueva
http://www.lacueva-berlin.de/

Roxana Crisólogo
http://www.roxanacrisologo.com/

Programa Democracia y Transformación Global
http://www.democraciaglobal.org/

Latinale – mobiles lateinamerikanisches poestiefestival
http://www.latinale.de/

Brunnenstraße Productions
http://www.youtube.com/user/brunnenstrasseprod

Freitag, 31. Oktober 2008

Montag, 17. März 2008

the medium is the message

Borges war ein elitärer Schriftsteller und wird es bleiben, sofern man das wertfrei sagen kann. Er wandte sich an die, die ihm zuhören mochten, und scherte sich nicht um die anderen. Vielleicht ist das der Schlüssel zu seiner Doppelköpfigkeit, wie sehr es sich auch lohnen mag, Borges im Licht der Computerbildschirme zu studieren: Er scherte sich nicht, während sich das Internet gefräßig um alles und jedes schert, auch das Blödeste und Niedrigste. Dafür brauchen wir es, gewiss, und offenbar wollen wir es sogar und sind also selbst schuld: aber zugleich entfernen wir uns von der Möglichkeit zur Versenkung, die vor der Ankunft dieses konzentrationstötenden Mediums einmal existierte.

Paul Ingendaay, F.A.Z. vom 12. Februar 2008, S. 31

Samstag, 15. März 2008

how to: leben (allgemein)

ich arbeite jeden tag zehn bis zwölf stunden, gehe jeden tag ins café, treibe keinen sport und schreibe nur, was ich selber gerne lese. ich versuche, nie länger als eine woche an einem ort zu sein, mein vorbild sind die todeswandfahrer, die früher auf rummelplätzen aufgetreten sind, als es noch kettenkarussells und schiffsschaukeln gab. ich fragte mich: wie schaffen die es nur, nicht abzustürzen? bis ich im physikunterricht lernte, dass die zentrifugalkraft stärker sein muss als die zentripetalkraft.

das ist alles worauf es im leben ankommt.

henryk m. broder, cicero 5/2007

Freitag, 7. März 2008

Yes, the U.S. can.



This is not just eloquent rethorics. This is new and inspiring leadership. This is a chance to regain confidence in a country and its governance that has done everything to spoil it. Now is the right time for this to happen. Time not for a, but for this change. And yes indeed, the world is watching.

Dienstag, 22. Januar 2008

Zum Jahr der Mathematik

Die Geistesarbeit zeigt sich in ihrer erhabensten Größe da, wo sie, statt äußerer materieller Mittel zu bedürfen, ihren Glanz allein von dem erhält, was der mathematischen Gedankenentwickelung, der reinen Abstraction entquillt. Es wohnet inne ein fesselnder, von dem ganzen Alterthum gefeierter Zauber in der Anschauung mathematischer Wahrheiten, der ewigen Verhältnisse der Zeit und des Raumes, wie sie sich in Tönen und Zahlen und Linien offenbaren.
Alexander von Humboldt, Kosmos, Bd. II, S. 394 (S. 382 nach der Neu-Ausgabe, Eichborn 2004)

Versehen mit einer Fußnote (von Alexander) zu Wilhelm von Humboldts gesammelten Werken, Bd. I, S. 11.

Mittwoch, 16. Januar 2008

y el cuento se acabó

JUANJO IBÁÑEZ (España): “Desinencia” (19 palabras)

Cuando estaba escribiendo el cuento más breve de su vida, la muerte escribió otro más breve todavía: ven.
herausgefischt und aufgelesen vom Großmeister der microrrelatos David Lagmanovich.

dieser post ist ein update zu

nanoficción - microrrelato

Dienstag, 15. Januar 2008

jeff dunham and peanut

weil die gringos seit ihren erfolgreichen Eroberungszügen gegen die nativen Stammescliquen des frisch eroberten Landstrichs kräftig gegen alles zu Felde ziehen, was nicht bei Drei in Guantánamo Bay ist, haben wir manchmal unsere liebe Not mit diesem Volk. Wir lehnen es genüsslich ab.

Aber genauso wissen wir, dass sie ein paar Dinge auch ganz gut können, eigentlich besser als sonst wer. Zum Beispiel verkaufen und unterhalten, also Hollywood.

Natürlich ist das kein Wunder. Schließlich ist dort jede Drama Class einer Public High School so gut ausgestattet wie ein mittleres deutsches Provinztheater. Und wenn die nicht gerade streiken, haben sie auch die besten Texter und Autoren der Welt, weil sie Kunst nicht mit Kunsthandwerk verwechseln, Dialoge beherrschen und sich noch nie für ihren Pathos geschämt haben (Siegermentalität, s.o.).

Und da uns unser Zeitalter mit dem Segen des kostenlosen TV-on-Demand (vulgo: YouTube) ausgestattet hat, können wir dem auch gemütlich von unserem Schreibtisch aus beiwohnen.

Meine Damen und Herren: Mister Jeff Dunham and Peanut.

Großes Kino.