Mittwoch, 24. Mai 2006

der nacken

in einem post vom 14. april habe ich hier eine vorläufige version von die lenden veröffentlicht. dieser text war, genauso wie der folgende es sein wird, teil einer gerade entstehenden kurzprosa-reihe, in der ich mich schreibend körperteilen, besser: -regionen nähere, inspiriert durch die textsammlung werkzeugkasten oder caja de herramientas von fabio morábito.

der nacken

Gäbe es nicht unser eitles Haargewinde, der Nacken läge offen und entblößt wie ein Auge in seiner Kuhle, so wie das Loch in einer alten Baumrinde, nur zufällig wurde ein wenig Haut über ihn gespannt. So versteckt er geschickt sein eigentliches Wesen. Er ist Knotenpunkt unserer Existenz und streng gehütetes Geheimnis.

An der Nackenlinie verläuft der zentrale Disput in der Geistesgeschichte der Menschheit, er ist – durch seine unverrückbare Verbindung zwischen Kopf und Rumpf – der unauslöschliche Beweis für eine Vereinbarkeit zwischen Geist und Körper. Die Menschheit hat sich jahrhundertelang der Tötung durch Abtrennung des Kopfes vom Körper am Nacken bedient, um genau diese Verbindung zu trennen, dieses Skandalon des Menschen aufzulösen. Durch den Nacken betritt der menschliche Geist den Körper, er ist das Eingangsportal, hinter dem unsere Vorstellungskraft auf die Wirklichkeit unserer physischen Existenz zurückgeworfen wird. Er ist durchlässige, ja nachlässig bewachte Grenze, Vorhof der intimsten und tiefsten Missverständnisse zwischen dem Notwendigen und dem denkbar Möglichen.

Der Nacken kommuniziert den royalen Großmut des Großhirns mit den Nöten und Bedürfnissen der von tausend Lasten und unzureichender Muskelmasse geschwächten Wirbelsäule. Er klagt an und versteift sich wie ein Funktionär des Proletariats, wenn sich in ihm der Eindruck erhärtet, die Großkopferten dort oben hörten ihm nicht richtig zu. Seine Parteilichkeit ist eindeutig, denn er weiß um die Bedeutung seiner Rolle in dieser ewigen Tragödie aus Immer-schon-da-gewesen und Nie-was-anderes-gekannt, in diesem immerforten Disput der Hierachie. Er allein kennt den Kern des Problems, er allein weiß, dass Geist und Materie, dass Hirn und Körpermasse nur deswegen sich nicht verstehen, ja sich nie ohne ihn zu verständigen wüssten, weil sie eines fundamental voneinander trennt: die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden. Und so zurrt der Nacken die Seile immer fester, je weniger sich das Großhirn um seine niederen Vasallen kümmern will. Mit der Kraft seines Wissens um die tägliche Mühen der Nervenbahnen, ihrer ungedankten und ewig ausführenden, niemals kreativen Arbeitsprozesse, transportiert er die Schmerzwellen wie Warnschüsse auf die Kopfhaut, an die Großhirnrinde und damit auf die Straße. Migräneattacken sind Warnstreiks des Körpers unter der Führung des Nackens. Seine Macht liegt in der Tatsache, dass er diese Zwischenwelt bewohnt, in der sich keine der beiden Parteien ganz mehr auskennt, er wohnt in einer Art befriedeten Zone, ist Vermittler, Diplomat, Friedensforscher.

Über den Nacken entscheidet sich, was reinkommt und was nicht. Er ist das Scharnier unserer Haltungen zur Welt. Durch ihn bestätigen wir uns und andere in den Dingen, mit ihm schwingen wir uns auf zu der Eindeutigkeit eines Neins. Von dort, von hinten und aus der Deckung, geben wir das Kommando an die Front und wackeln unseren Schädel passend zu unseren Meinungen und Vorstellungen. Er ist General und Dompteur zugleich, ein Vorbild an gelebter Demokratie.

Er ist der Fluss, über den die Schiffe das eine mit dem anderen Ufer verbinden, durch ihn wird Konsens an den Grenzen der Verständigung möglich. Er richtet uns auf, er gibt uns preis. Ehrlicher als der Nacken wird nichts in uns.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ay ke bueno! Yo en esa parte de la nuca, como acabo de leer gracias a vos, jeje, le he dedicado un tatuaje...pero de verdad me hicicste pensar...porke uno normalmente se toma su tiempo pensando donde colocar esas decoraciones que uno llevara toda la vida sobre su propio cuerpo...quiero leer mas, me gusto!

Saludos