das teelicht
Das Teelicht ist der Schichtarbeiter unter den Kerzen. Wenn es sich auf seinen Arbeitsplatz setzt, weiß es immer schon, wofür es bestellt wurde, auch wenn er dafür nur schwaches Interesse aufbringt. Wird über das Teelicht gesprochen, dann so, als wäre es nicht dabei oder müsse doch zumindest nicht auch noch gefragt werden. So tut es einfach seine Arbeit: geräuschlos, pragmatisch, konzentriert. Da das Teelicht nicht als Licht, sondern als Wärmequelle dient, hat es vergessen, wie die Morgensonne oder der lange Abenddämmer auf die Menschen wirken. Seine Welt ist ein einziger Keller, in den ungeduldig Arbeitsbefehle gerufen werden.
Zum Wasser unterhält es wie jedes Feuer ein von Missachtung und Ablehnung geprägtes Gefühl der Minderwertigkeit. Allen Stolzes beraubt, lebt das Teelicht als Folge seiner industriellen Produktion im Unwissen über die Natur des Lichts und kennt seine Geschichten nicht. Teelichter wachsen ohne Mythen auf und verstehen die Welt als ein Gefüge aus Sachzwängen. Daher ihre Fähigkeit zur totalen Selbstbeherrschung.
Teelichter tropfen nicht, gehen nie aus der Form und verlieren nicht die Fassung. Jede Travestie, jeder törichte Versuch, glamourös zu wirken, überhaupt: die Annahme, etwas darstellen zu können, das man nicht geboren wurde zu sein, sind dem Teelicht gänzlich fremde, geradezu unbekannte Empfindungen. Es sehnt sich nicht nach der Aufmerksamkeit, mit der man Tropf- und Tischkerzen bedacht, denen erlaubt wird, über Jahre auch die besten Kerzenständer einzuwachsen, weil es über den restfeudalen Hochmut der Unterschicht verfügt, sich selbst genug zu sein.
Niemals lügt es, niemals kommt es auf eigene Ideen, schon bei der kleinsten Herausforderung gibt es auf. Das Teelicht ist reine Funktion und von allen natürlichen Lichtquellen der Maschine am nächsten. Selbst außerplanmäßige Einsätze auf Fensterbänken, zwischen Rosenblättern am Badewannenrand und auf nachlässig gepflegten Dielenfußböden erfüllt es mit einer an Apathie grenzenden Teilnahmslosigkeit und wenn es könnte, würde es, als Beweis für seine humorlose Sachlichkeit, dabei blau leuchten. Weißblau.
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