Mittwoch, 15. Februar 2006

morabito schreibt

legen wir auf einer ebene mehrere gänge und stollen an, die einander kreuzen und verbinden, so erhalten wir ein labyrinth. verknüpfen wir dieses labyrinth rundherum - oben, unten und an den seiten - mit weiteren labyrinthen, [...] so erhalten wir einen schwamm. der schwamm ist die apotheose des labyrinths. [...] der schwamm ist reine streuung. [...] verglichen damit ist die leichtigkeit einer vogelfeder kein kunststück: zu sehr hängt sie mit ihrer winzigkeit zusammen. es ist eine leichtigkeit, die man zur kenntnis nimmt, die jedoch nicht überrascht. die leichtigkeit des schwamms dagegen ist eine heroische.

fabio morábito



schon bis hierhin ist dieser gedankenstrom brilliant. morábito gelingt dabei - es handelt sich um einen ausschnitt aus seiner textsammlung caja de herramientas/werkzeugkasten - stets die fokussierung auf das unwahrscheinliche. auf das klare bild neben dem offensichtlichen einfall. das naheliegende ist synonym für gedankliche faulheit, für die ödnis vorschneller wortentscheidungen. vollständige verdichtung der verästelten gedankenwelt eines sprachlich freien menschen.

für einen literato ist das vielleicht das größte aller ziele: frei zu sein im angesicht der sprache. uneingeschränkter caminante de transitmundos, in denen sich das bedeutete immer anders schreibt. morábito ist dabei so virtuos wie ein...nein, er ist einfach virtuos.

denn wasser fällt mehr als dass es fließt.

achtung, jetzt wird es wirklich gut.

das wasser durchströmt [den schwamm] wie eine losung, die niemand versteht, die jedoch alle stollen eifrig wiederholen und wie ein lauffeuer verbreiten. kein mund bleibt stumm. der schwamm ist unkritisch. [...] das wasser ist nie so sehr herr seines ausdrucks, seiner stimme wie im innern eines schwamms. seine hauptbeschäftigung, das fallen, kann im schwamm, auf dieser komprimierten, greifbaren bühne in all seinen varianten zur geltung kommen, wie in einem labor. mit seinen tausend verästelungen bremst der schwamm den fall des wassers, damit sich das wasser wasser nennen kann, in aller reinheit und menschlichkeit.

es sind große gedanken und es ist all das, was so schwer zusammen geht: spiel, präzision, tiefe. große sprachkunst.

wasser fällt, die totale blöße des schwamms ist entfaltung für die körperwerdung des wassers. der feuchte schwamm ist bildungsroman für das entgrenzte element. und weiter heißt es:

im schwamm wachsen dem wasser vorübergehend wieder hände und füße, rumpf, finger und knorpel und somit eine quelle des selbstbewußtseins, es ist auf sich selbst zurückgeworfen, nachdem es eine konkrete aufgabe erfüllt hat: ohne zu irren oder zu vergessen gründlich einen körper zu durchdringen, der trocken war. höchste erfüllung nicht nur des wassers, sondern auch der liebe.

und ich denke...es ist wieder zeit für große gedanken.

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