Mittwoch, 6. September 2006

proust schreibt

da ich gerade eine magisterarbeit schreibe, in der ich mich unter anderem mit terézia moras roman Alle Tage beschäftige, führte mich meine auseinandersetzung mit den dort zahlreich vorhandenen, narrativen anachronien zum meister aller klassen: dem strukturalisten und proust-exegeten gérard genette. in dessen begriffsbibel Die Erzählung (2. auflage, 1998, münchen: wilhelm fink verlag, eine studienausgabe, übrigens, mit bemerkenswert schlechtem lektorat...überall satz- und orthographiefehler) geht es um die literaturtheoretische ausformulierung so entscheidender definitionsgrößen wie erzählung (discours), geschichte (histoire) und narration (récit), unter denen sich dann wiederum ein meer von begriffen tummeln, die sich grob in ordnung, dauer, frequenz, modus und stimme unterteilen.

doch eigentlich wollte genette ja nur (nur!) prousts jahrhundertbuch auf der suche nach der verlorenen zeit auf seine für den modernen roman konstitutiven erzählverfahren hin untersuchen. folge für den leser: es wird ständig aus diesem mammutwerk (das ich natürlich, im gegensatz zum mutigen jochen schmidt NICHT gelesen habe) zitiert. eines dieser zitate hatte ich mir vor jahren schonmal angestrichen und finde es immer noch sehr, wie soll ich es sagen: erschütternd.


jemanden 'wiederzuerkennen' und mehr noch, ihn, den man nicht wiedererkennen kann, dennoch zu identifizieren, bedeutet, unter einer gleichen bennenung zwei konträre dinge zu denken oder zuzugestehen, dass das, was vorher an dieser stelle war - das wesen, an das man sich erinnert -, nicht mehr vorhanden, das hingegen, welches man vor sich hat, ein uns bislang nicht bekanntes wesen ist; es bedeutet, dass man an ein fast ebenso verstörendes geheimnis wie das des todes denken muss, für das es im übrigen etwas wie eine vorrede und eine ankündigung ist.

marcel proust, auf der suche nach der verlorenen zeit, s. 4044.


2 Kommentare:

ereira hat gesagt…

Beim zweiten Mal Lesen habe ich diesem Mammutsatz dann doch einigermaßen erfassen können. Ich will ja ehrlich sein.
Was genau erschüttert dich an diesem Satz, Tobi? Habe ich ihn nicht richtig verstanden?

ereira hat gesagt…

Wer ist eigentlich verrückter?
Proust, der es schaffst, schwer verständliche, da unheimlich lange und verschachtelte Sätze zu schreiben, oder Genette, der es gewagt hat, anhand von Prousts Werk seine Erzähltheorie zu verfassen?