gestern abend versammelten sich im rahmen des 72. internationalen pen-kongresses in der berliner französischen friedrichstadtkirche am gendarmenmarkt sechs der interessantesten zeitgenössischen autoren deutscher sprache:
- Ilija Trojanow
- Zsuzsa Bánk
- Sherko Fatah
- Emine Sevgi Özdamar (die übrigens "Össdamar", nicht "Ötzdamar" ausgesprochen wird...)
- SAID
- Yoko Tawada
warum gerade diese sechs? nun, weil sie a) auf deutsch und b) sehr gut schreiben. und vor allem: weil sie alle nicht hier geboren sind. also führt man sie zusammen, weil sie uns daran erinnern, dass deutschland ein einwanderungsland ist, schon seit jahrzehnten. und dass wir immer noch nicht gelernt haben, anstatt von migranten (die bestimmt bald wieder gehen) von Emigranten (die bleiben und hierhin zurückkommen wollen, immer wieder) zu sprechen.
politisch würde man jetzt sagen: "autoren mit migrationshintergrund". das klingt allerdings so, als wäre es eine latente warnung. fakt ist: wir haben noch keine sprache, um diese literatur zu klassifizieren und können uns durchaus damit begnügen, sie einfach: deutsprachige literatur :zu nennen. viel ist damit natürlich nicht gesagt. das war schon zu heines zeiten so.
oder wir bedienen uns der sprache von ottmar ette und nähern uns diesem schreiben an als einer literatur ohne festen wohnsitz. eine literatur der zwischenwelten.
hier entstehen zwischenwelten im schreiben. und in den zwischenwelten wird geschrieben, auf der reise, im pendeln, in der bewegung zwischen den koordinaten von herkunft, wohnort und sprache.
es waren die wundervolle und dem ganzen geschehen etwas entschwebende özdamar und vor allem yoko tawada, die dem gestrigen abend ihre besondere qualität verliehen haben.
yoko tawada, die zart, schmal und zurückhaltend auf ihrem stuhl saß und fast den gesamten abend ihre augen niedergeschlagen auf den tisch heftete. die umso mehr überraschte, als sie wie ein orakel anfing, auf die fragen des moderators zu antworten. aus der interessierten aufmerksamkeit im publikum wurde eine gespannte stille. eine frau, die kein wort zuviel sagt. eine frau, die verleitet zu glauben, beschützt werden zu müssen (obwohl ich viel jünger bin als sie, ging es mir so, bis sie anfing zu sprechen). eine frau, die aus einer ungewöhnlich souveränen inneren mitte spricht. mit einem starken eigenen rhythmus.
als sie gefragt wurde, wie sie sich dabei fühle, dass sie in new york niemand auf ihr (sichtbar japanisches) äußeres anspricht, in ihrer wahlheimat hamburg allerdings jeder, antwortete sie entwaffnend charmant: wenn man es positiv formulieren möchte, so tawada, könne man sagen, dass sich in den usa eben niemand für deine herkunft interessiert, wohingegen die menschen in der hansestadt gleich ein gespräch über japan anfangen und fragen stellen würden.
gelächter, erleichterung im publikum. keine deutschen-schelte. keine selbstkastei. und die fremdenfeindlichkeit in deutschland? die menschen seien eben oft nicht darauf vorbereitet, auf so vieles, dass sie fremd nennen, weil sie es nicht verstehen. dass die menschen angst hätten und überfordert seien. das wäre in japan doch nicht anders, nur müssten die japaner sich kaum dieser angst stellen, es gebe halt kaum nicht-japaner in japan.
sagte es, sortierte ihr manuskript und las und ich machte erneut die erfahrung, wie anziehend, wie geradezu körperlich gute kunst im moment ihrer aufnahme auf mich wirkt. tawadas sprache, ihr rasanter witz, ihre genauigkeit, in dem verzweiflung und schwerelosigkeit zwei aspekte der gleichen unbekümmertheit im umgang mit sprache sind, ihre eleganz.
beim herausgehen ein japanisches fernsehteam: ich improvisiere eine kleine hymne auf sie, will sie später um eine widmung bitten (das will ich selten), doch sie war schon verschwunden. draußen vor der kirche: pen-prominenz. von ihr blieb: die dezente präsenz großer sprachkunst. wie sie im kopf nachhallt.